Medizinnobelpreis 1963: John Carew Eccles — Alan Lloyd Hodgkin — Andrew Fielding Huxley

Medizinnobelpreis 1963: John Carew Eccles — Alan Lloyd Hodgkin — Andrew Fielding Huxley
Medizinnobelpreis 1963: John Carew Eccles — Alan Lloyd Hodgkin — Andrew Fielding Huxley
 
Die drei Physiologen wurden gemeinsam für ihre Entdeckungen bezüglich der ionischen Mechanismen, die bei Erregung und Hemmung in peripheren und zentralen Bereichen der Nervenzellenmembran eine Rolle spielen, ausgezeichnet.
 
 Biografien
 
Sir (seit 1958) John Carew Eccles, * Melbourne 27. 1. 1903, ✝ Contra (bei Locarno) 2. 5. 1997; ab 1952 Leiter der physiologischen Abteilung der Australian National University, Canberra, 1966-68 Professor am Institute for Biomedical Research, Chicago, 1968-75 Professor für Physiologie an der State University of New York, Buffalo.
 
Sir (seit 1972) Alan Lloyd Hodgkin, * Banbury (Oxfordshire) 5. 2. 1914, ✝ Cambridge 20. 12. 1998; 1937-78 und 1984-98 Fellow des Trinity College, 1940-45 Entwicklung von Radarsystemen, 1969-81 Professor für Biophysik in Cambridge, 1970-75 Präsident der Royal Society, 1978-84 Master des Trinity College.
 
Andrew Fielding Huxley, * London 22. 11. 1917; 1941-46 Fellow am Trinity College, 1960-69 Professor für Physiologie am University College London, 1980-85 Präsident der Royal Society, 1984-90 Master des Trinity College.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Dass der elektrische Strom Muskeln zur Kontraktion anregen kann, war schon zur Mitte des 18. Jahrhunderts bekannt. Aber erst die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts brachte nähere Informationen über den Aufbau des Nervensystems. Es zeigte sich, dass Nerven Zellbündel sind und aus einzelnen Neuronen bestehen. Diese wiederum lassen sich in zwei Bereiche unterteilen: die eigentliche Nervenzelle sowie einen lang gestreckten Ausläufer, die schlauchförmige Nervenfaser. Bei manchen Neuronen ist die Wand dieser Faser (eine bimolekulare Lipidmembran) abschnittsweise durch eine Zellschicht (die Schwann-Scheide) elektrisch isoliert. Die Nervenzelle besitzt außerdem kurze Ausläufer (Dendriten), die in Synapsen mit den Enden von Nervenfasern (Neuriten) weiterer Neuronen verbunden sind.
 
Darüber, welche chemischen Prozesse aber innerhalb der Nervenzellen bei der Erregungsleitung abliefen, existierten nur Vermutungen. Populär war die These des deutschen Physiologen Julius Bernstein: Zusammen mit dem Aktionspotenzial könnte ein Leck die Membran der Nervenfasern entlang wandern, das es Kaliumionen (K+) ermögliche, aus dem Faserinneren hinaus- beziehungsweise in die Faser hineinzuströmen.
 
 Der Beginn der mathematischen Neurologie
 
Im Jahr 1939 begannen sich Alan Lloyd Hodgkin und Andrew Fielding Huxley mit diesem Problem zu beschäftigen. Beide studierten Physiologie am Trinity College in Cambridge. Hodgkin hatte zuvor für einige Monate in den USA geforscht und bei den Biologen Kenneth Cole und Howard Curtis die Arbeit an Tintenfischneuronen kennen gelernt. Daher begannen Huxley und Hodgkins nun selbst mit Versuchen an solchen Nervenfasern.
 
Zunächst wollten sie die Viskosität im Inneren der Nervenfasern messen. Huxley erinnert sich: »Ich montierte eine Faser vertikal und schob eine kleine Glasröhre hinein, aus der Quecksilber ausfließen sollte. Wir wollten sehen, wie schnell die Tröpfchen vorankamen. Das Innere der Faser jedoch ist nicht mit einer Flüssigkeit, sondern mit einem Gel gefüllt, sodass die Quecksilbertropfen unterwegs stecken blieben. Da schlug Hodgkin vor, eine Elektrode in die Tropfen einzuführen.« Dadurch konnten sie erstmals eine Potenzialdifferenz zwischen dem Inneren und Äußeren der Nervenmembran direkt messen. Im Ruhezustand erwies sich das Innere als 50 Millivolt negativer als das Äußere. Reizte man die Zelle, stieg die Potenzialdifferenz zum Erstaunen der Wissenschaftler keineswegs auf null Volt, wie sie nach Bernsteins Theorie erwarteten, sondern schoss darüber hinaus bis auf + 50 Millivolt. Es fand eine Depolarisation statt, während das Neuron »feuerte«.
 
Als die beiden ihre Arbeit nach dem Krieg fortsetzten, stellten sie fest, das die Konzentration an K+ im Inneren der Nervenfaser abnahm, wenn das Neuron wiederholt gereizt wurde. 1947 fand Hodgkin gemeinsam mit Bernard Katz heraus, dass auch die Konzentration der Natriumionen (Na+) im Zelläußeren die Amplitude des Aktionspotenzials beeinflusste.
 
Hodgkin und Huxley verwendeten nun eine neuartige elektronische Rückkopplungsschaltung für ihre Messungen des zeitlichen und räumlichen Verlaufs des Aktionspotenzials. Sie versuchten zugleich, ein Modell für die Entwicklung des Aktionspotenzials zu entwickeln. Es sollte die Na+- und K+-Konzentrationen sowie die jeweilige Leitfähigkeit der Membran beschreiben und numerische Berechnungen ermöglichen. Diesem »Hodgkin-Huxley-Modell« zufolge basiert die Entstehung eines Aktionspotenzials auf dem Öffnen und Schließen von Ionen-Kanälen in der Membran der Nervenfaser: Verringert man die Spannungsdifferenz zwischen innen und außen bis auf einen bestimmten Wert, so öffnet die Membran zunächst Poren für Na+. Die Ionen strömen von außen nach innen und lassen das Innere rasch positiver als das Äußere werden — das Aktionspotenzial entsteht (Depolarisationsphase). Dadurch aber steigt langsam die Leitfähigkeit der Membran für K+, während immer weniger Na+ durchgelassen werden — das Aktionspotenzial klingt wieder ab (Repolarisationsphase). Weil eine Depolarisation in direkter Nachbarschaft auf der Nervenfaser eine weitere auslöst, schiebt sich das Aktionspotenzial wie eine Welle am Neuron entlang.
 
Hodgkin fasste diese Ideen in ein System aus vier gekoppelten partiellen Differenzialgleichungen. Es zeigte sich, dass sich die berechneten Werte exakt mit den gemessenen deckten — ein Durchbruch auf dem Weg zum Verständnis der Funktionsweise des Nervensystems. Das Hodgkin-Huxley-Modell stellte den Beginn der mathematischen Neurologie dar. Die Arbeit wurde für die Entwicklung der Elektrokardiografie ebenso wichtig wie etwa für den Bau moderner intelligenter Prothesen, die per Mikrochip gesteuert werden.
 
 Grundlagenforschung zur künstlichen Intelligenz
 
Auf Huxleys und Hodgkins Arbeit baute John Carew Eccles auf. Er interessierte sich besonders für die Vorgänge in den Synapsen. In Sydney konnte er Ende der 1930er-Jahre bestätigen, dass beim Übergang eines Aktionspotenzials von einer Nervenzelle in die nächste Acetylcholin in die Synapse ausgeschüttet wird. Das Hormon lagert sich an bestimmte Rezeptoren der Dendriten der nächsten Nervenzellen an und löst dort ein neues Aktionspotenzial aus. Eccles bewies das, indem er in die Synapsen Acetylcholinesterase einbrachte, ein Enzym, das Acetylcholin zerlegt. Dadurch hemmte er die Reizweiterleitung.
 
Eccles setzte diese Forschungen 1944 an der Universität von Otago in Neuseeland fort. Dort fand er bei so genannten Motoneuronen — Neuronen, die in Muskeln enden — heraus, dass ein einzelner feuernder Neurit häufig noch nicht ausreicht, eine angeschlossene Nervenzelle ebenfalls zum Feuern anzuregen. Erst mehrere an eine Zelle angeschlossene Neuriten zusammen können ein neues Aktionspotenzial auslösen. Doch manche Synapsen können die Auslösung eines Aktionspotenzials auch unterdrücken. Eccles nannte diese Synapsen »inhibitorisch«, anregende dagegen »exzitatorisch«. Durch das Zusammenspiel dieser Synapsen an einer Nervenzelle kann die Natur komplizierte logische Schaltungen aufbauen. Dadurch wird auch das Speichern von Informationen möglich.
 
Zwar ist man heute immer noch weit davon entfernt zu verstehen, wie das Nervensystem in seiner Gesamtheit funktioniert, doch war Eccles Arbeit ein wichtiger Schritt in diese Richtung. So basierte etwa die Entwicklung neuronaler Netzwerke, durch die man Computer mit künstlicher Intelligenz ausstatten wollte, auch auf Eccles Erkenntnissen. Neuere Untersuchungen haben allerdings gezeigt, dass das Zusammenspiel der Nervenzellen wesentlich komplizierter ist, als Eccles annahm: Dendriten sind beispielsweise keineswegs rein passiv — in einem gewissem Rahmen können sie selbst »entscheiden«, wie sie die Reize einzelner Neuriten gewichten.
 
A. Loos

Universal-Lexikon. 2012.

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